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SoulSurf schrieb am 02.11.2011 um 16:06 Uhr

Christlicher Garten, in Gärten der Welt , Berlin Marzahn - eine spontane Betrachtung:

Ich war am Sonntag, dem 30.11.2011 im oben genannten Park, um mir mal wieder die Gartenarchitektur anzuschauen und mir insbesondere den neu entstandenen Christlichen Garten neugierig und ohne weitere Vorabinformationen vor Augen zu führen.

Um es gleich vorweg zu nehmen, bereits der erste Blick auf das jüngste Werk des Geländes hebt sich deutlich ab von der Gestaltung der anderen Gärten: es wurde eine moderne Interpretation des Themas gewählt, was durchaus meine Zustimmung erhält - nichts ist authentischer als eine Darstellung aus der gerade herrschenden Zeit heraus. In gewisser Weise ist man als Künstler jedoch auch gefangen in der jeweiligen Zeit und damit in den gerade dominanten Denkweisen der Epoche und Gesellschaft. Insofern läßt die Ausführung des gerade entstandenen Gartens einige Rückschlüsse auf den gegenwärtigen Zustand unserer Kultur zu. 

Was zunächst am Garten auffällt, ist die Einrahmung der quadratischen Anlage durch einen Umgang. Hohe, menschliche Dimensionen übersteigende Seitenwände aus metallenen Buchstaben, die u.a. Bibelzitate darstellen, formen einen auch nach oben abgeschlossenen Käfig, durch den der Besucher einen innenliegenden Garten umrunden kann. Dieser Garten wird zentral von zwei Wegeachsen durchschnitten, wodurch vier gleichgroße Flächen entstehen. Diese Flächen sind unterschiedlich gestaltet und bepflanzt. Eines dieser Areale enthält schwarze Steinquader, über die zart Wasser gespült wird.

In der gewählten Darstellungsform wurden zunächst wichtige Elemente traditioneller christlicher Gartenarchtektur übernommen: Aufspannung einer Quaternität, mit den vier Paradiesströmen um ein Zentrum.

Wie wirkt jedoch dieser Aufbau im einzelnen? Nach außen schließt der genannte, umlaufende Käfig die Anlage schroff ab. Die wuchtige Metallkonstruktion erinnert eher an die Außenbegrenzung eines durchtechnisierten Gefangenenlagers. Entsprechend wird der Besucher in diesem Tunnelgang in Empfang genommen. Großbuchstaben erschlagen den Betrachter förmlich, Lesen der riesigen Lettern ist eher eine Qual. Der Inhalt der Texte wird dem Interessierten allein hierdurch nicht näher gebracht. Die durchbrochenen Buchstaben erlauben einen Blick auf das Garteninnere, ohne Möglichkeit jedoch, sich diesem nähern zu können. Man bleibt auf dem durch die Käfigkonstruktion vorgegeben, umlaufenden Weg.

Das Innere der Anlage wirkt aufgrund seines teils symetrischen, teils asymetrischen Aufbaus verwirrend. Zwar sind, wie gesagt, vier gleichmäßige Flächen um ein Zentrum entstanden. Diese sind jedoch, jede für sich, unterschiedlich gestaltet, teilweise, so scheint es, vom Zentrum sogar wegweisend. Besonders irritierend wirken die von Wasser überspülten, schwarzen Steine. Diese für sich eigentlich sehr schöne Brunnenkonstruktion, ist der eindeutige und massive Blickfang der inneren Anlage. Und dies nicht nur wegen seiner optischen Wirkung, sondern auch wegen seiner symbolischen Bedeutung, die Wasser des Lebens darzustellen - wir sollten doch nicht vergessen, dass wir uns in einem christlichen Garten befinden!

Was bedeutet der oben beschriebene Eindruck der Anlage für das Verstehen des Bauwerks? Traditionell wird im christlichen Kreuzgang, zu denen es in Deutschland zahlreiche schöne mittelalterliche Beispiele gibt, auf eine strenge Symetrie geachtet: Umgang, eine die vier Paradiesströme darstellende Aufteilung der Innenflächen, die sich gleichmäßig um einen zentralen Brunnen gruppieren. Im Park selbst ist diese Aufteilung sehr schön anhand des islamischen Gartens zu sehen, der im Vergleich zur christlichen Kultur sehr ähnliche architektonische und kulturelle Grundlagen benutzt: Zentraler Aufbau, richtiges(!) Wasser, das auf einen zentral erhöhten Brunnen zuläuft. Klare Linien beruhigen das Auge und die Seele. Auch die fernöstlichen Gärten des Marzahner Parks sind von einer inneren Harmonie geprägt, die von der geschickten Verbindung von ungezähmter Natur und menschlicher Gestaltung lebt. In beiden Fällen sorgen menschliche Dimensionen für Geborgenheit. Nicht so im uns vorliegenden christlichen Garten! Wie ein technisches Bollwerk steht er in der Parklandschaft. Ist der Besucher erst einmal eingetreten, wird er wie ein Gefangener innerhalb eines Käfigs geführt, ohne die Möglichkeit, sich dem Innersten der Anlage nähern zu können, dort wo sich nach religiöser Auffassung für den Gläubigen ein Zugang zu Gott, zum innersten Selbst oder dem eigenen Zentrum eröffnen soll. Nicht so in unserem Garten! Der Zugang ist nicht nur real beschränkt, nein, auch dort, wo sich das Zentrum befinden soll ist nur eine Spur von ihm in Form sich kreuzender Wege zu erkennen! Es findet keine Betonung des zentralen Bereichs statt. Im Gegenteil: das Zentrum ist mit den, die Szenerie beherrschenden schwarzen Brunnenquadern ausgewandert und befindet sich mit dem Wasser des Lebens in Randlage.

Wenn man unterstellt, dass der Künstler auch den kollektiven Geist seiner Zeit darstellt -dies meist unbewußt und daher auf seine Weise ehrlich,  lassen sich aus diesem Garteneindruck verschiedenste religiös-gesellschaftliche Ableitungen aufstellen: die Religion wird technisch empfunden, der Besucher - die Gemeinde - wird geführt sowie vom eigentlichen Ziel auf Distanz gehalten und das Ziel selbst, das eigentlich im Zentrum aller Bemühungen stehen sollte, ist aus dem Blick geraten.  

Schauen wir uns die deutsche Kirchenrealität an, wie sie sich mir zumindest aufdrängt: falls überhaupt noch jemand in die Kirche geht, sieht es oft so aus, als wenn vorne einer spricht (Pastor/Pfarrer) und die Gemeinde (evtl. sogar echt bemüht) lauscht. Oft hat man jedoch den Eindruck, das war es dann auch schon. Ein mechanischer Ablauf, der zum gesellschaftlichen Leben nunmal dazu gehört. Das eigentliche Ziel jedoch, die unmittelbare Anwesenheit Gottes zu spüren oder der Ubersprung des göttlichen Funkens auf die Anwesenden wird verfehlt und keiner scheint da zu sein - auch nicht die dafür eigentlich Berufenen-  der das Ziel überhaupt noch ausmachen oder darauf hinführen könnte. Verziehen sei, wenn ich hiermit jemanden im einzelnen ungerecht behandele. Ich stelle hier meinen Gesamteindruck dar.

Übertragen auf das hier besprochene Bauwerk: findet die beschriebene verkümmerte Form von Religion in unserer Gesellschaft nicht in dem "christlichen" Garten ihre exakte bauliche Entsprechung? Meiner Meinung nach ja! Mit ungewollter Ehrlichkeit wird hier in materieller Form ein Gesellschaftszustand widergespiegelt, wie ihn jeder heutzutage in der deutschen Kirchenwelt erfahren kann - von Ausnahmen abgesehen.

Noch ein anderer entlarvender Hinweis für diese These: warum eigentlich wurde dieser christliche Garten als allerletzter von allen Gärten, erst jetzt erstellt - ist doch in diesem Land die historische Grundlage für so ein Bauwerk zunächst als allererstes hier, direkt vor Ort vorzufinden? Antwort: die Menschen haben sich derweil aufgemacht, ihr religiöses Erlebnis anderswo zu suchen, außerhalb von Christentum und Deutschland - schade, eigentlich hätten wir alle eigenen Traditionen, um diesem Wunsch nachzukommen und ob wir wollen oder nicht, in der christlichen Kultur liegen unsere Wurzeln, die wir selbst am besten verstehen sollten!

guentersiegert schrieb am 19.05.2014 um 07:57 Uhr

Schöne Bilder, tolle Musik!